Meisterdetektiv Akins neuester Fall – Nigerianischer Kollege von Sherlock Holmes ermittelt auf Yorùbá
aus der Jahn-Bibliothek für afrikanische Literaturen
Dieses auf den ersten Blick eher unscheinbare, etwas abgenutzt wirkende Buch ist eine kleine Kostbarkeit. Es handelt sich um einen Detektivroman des nigerianischen Schriftstellers Kọ́lá Akínlàdé (geb. 1924), der 1976 unter dem Titel "Owó Ẹ̀jẹ̀" [dt.: Blutgeld] auf Yorùbá, einer der wichtigsten Sprachen Nigerias, veröffentlicht wurde und in dem ein Meisterdetektiv den Mord an einem jungen Migranten aufklärt. Wie viele seit dem vergangenen Jahrhundert in Afrika lokal publizierte literarische Werke ist der Roman längst vergriffen und sogar in Bibliotheken nicht oft zu finden – auch in Nigeria selbst, obwohl der Roman dort vor zehn Jahren erfolgreich verfilmt wurde und als Klassiker der modernen Yorùbá-Literatur gilt. Kọ́lá Akínlàdé, der neben anderen Werken insgesamt neun Detektivromane veröffentlicht hat, ist der bedeutendste Yorùbá-Vertreter dieses Genres. Wie manch anderes Buch fand auch dieses Werk auf ganz besondere Weise und jenseits üblicher bibliothekarischer Bestellvorgänge seinen Weg in die Jahn-Bibliothek für afrikanische Literaturen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU): Die wissenschaftliche Leiterin kaufte es 1999 während eines privaten Feldforschungsaufenthalts in Nigeria unverhofft von einem Straßenhändler in Ibadan.
"Owó Ẹ̀jè"̣ ist der vierte Roman um einen Meisterdetektiv namens Akin Olúṣínà. (Krimi aus der Jahn-Bibliothek, Foto: Thomas Hartmann, Universitätsbibliothek Mainz) Er spielt in den 1970er-Jahren in der Gegend von Ondo in Südwestnigeria. Nachdem Súlè, ein junger Migrant in den Zwanzigern, der unter den Yorùbá als Kakaofarmer arbeitete, vergiftet worden ist, ermittelt die örtliche Polizei. Auf Wunsch der Verlobten des Ermordeten wird sie dabei maßgeblich durch den Meisterdetektiv unterstützt. Nach und nach werden mehrere Tatverdächtige identifiziert und verhört, darunter berüchtigte Kriminelle ebenso wie respektable Mitglieder der Gesellschaft. In einer dramatischen Szene am Ende des Romans bestellt der Meisterdetektiv, der in seinen privaten Ermittlungen der Polizei, die noch immer im Dunkeln tappt, entscheidende Schritte voraus ist, alle noch verbliebenen Verdächtigen aufs Revier ein. Während die Unschuldigen unter den Anwesenden schnell entlastet werden, gelingt es dem Meisterdetektiv in beeindruckender Weise, nicht nur den Täter zu überführen, sondern nebenbei noch weitere ungeklärte Fälle zu lösen. Súlès Mörder ist ausgerechnet dessen wohlhabender, väterlicher Yorùbá-Mentor Bàbá Wálé, der ihm scheinbar großzügig – im Gegenzug für gelegentliche Arbeitsleistungen – Land zum Kakaoanbau überlassen hatte, ohne dies vertraglich zu dokumentieren. Dieser wollte nun die Früchte der jahrelangen, harten Arbeit Súlès ernten.
Der Autor Akínlàdé adaptiert mit seinem Detektivroman ein globales Genre, das er instrumentalisiert, um sich mit spezifischen, lokal relevanten Themen der zeitgenössischen, von der Kolonialzeit geprägten Yorùbá-Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dazu zählen neue Möglichkeiten von Frauen in einer westlich beeinflussten Welt, aber auch Herausforderungen, die sich daraus für diese ergeben. Auch ethnisch motivierte Diskriminierung und Ausbeutung sowie die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Sein und Schein werden geschickt mit dem Mordfall verknüpft und in einen aktuellen gesellschaftlichen Kontext gestellt. Die insgesamt positive Darstellung der Polizei dient der Korrektur weit verbreiteter Vorbehalte und soll das Vertrauen der Leser in moderne Institutionen staatlicher Gewalt stärken. Am deutlichsten wird die Vision des Autors von gelungener Moderne durch die Figur des Meisterdetektivs selbst verkörpert. Dessen Überlegenheit und letztlich das Geheimnis seines Erfolgs sind wesentlich durch seine kulturelle Kompetenz und Flexibilität begründet, die es ihm erlauben, in der modernen Yorùbá-Gesellschaft optimal zu funktionieren. Die Auseinandersetzung mit dem kulturellem Wandel und den Herausforderungen, die dieser im Alltag der Menschen mit sich bringt, wird dabei nicht als Kampf zwischen "Tradition" bzw. "Yorùbá-Kultur" einerseits und "Modernität" bzw. "westlicher Kultur" andererseits inszeniert. Vielmehr geht es darum, sich in einem dynamischen Prozess und auf lokal relevante Art und Weise mit der Moderne auseinanderzusetzen – weder im Gegensatz zu traditioneller Kultur noch in gezielter Abgrenzung vom Westen, sondern durch die geschickte, strategische Integration von Elementen beider Welten.
Akínlàdés Detektivroman ist typisch für die Sprachenvielfalt der Jahn-Bibliothek für afrikanische Literaturen, deren Bestand auf den Journalisten, Übersetzer und Literaturvermittler Janheinz Jahn (1918-1973) zurückgeht. Als einer der ersten Forscher überhaupt verstand Jahn Literatur aus Afrika unabhängig davon, in welcher Sprache sie verfasst war, als eigene Tradition und nicht als Übersee-Abteilung der europäischen Philologien; von Anfang an war es für ihn selbstverständlich, dass afrikanische Schriftsteller ihre Werke nicht nur in den Kolonialsprachen, sondern auch in lokalen Sprachen verfassten. Bereits seine erste Begegnung mit afrikanischer Literatur bei einem Vortrag des Dichters und späteren senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor (1906-2001) im Dezember 1951 mag dieses Verständnis begründet haben, denn Senghor trug bei dieser Gelegenheit Gedichte in französischer Sprache, aber auch auf Wolof, einer der wichtigsten Sprachen seines eigenen Heimatlandes, vor. Mittlerweile verfügt die Jahn-Bibliothek über eine einzigartige Sammlung literarischer Werke in über achtzig Sprachen, darunter die ehemaligen Kolonialsprachen ebenso wie eine sehr große Zahl afrikanischer Sprachen.
Dr. Anja Oed, Wissenschaftliche Leiterin der Jahn-Bibliothek für afrikanische Literaturen
Literatur
Kọ́lá Akínlàdé: Owó Ẹ̀jẹ̀, Ibadan (Nigeria) 1976.
Anja Oed: "The world has changed": modernity in Kọ́lá Akínlàdé’s detective novel Owó Ẹ̀jẹ̀, in: Anja Oed und Christine Matzke (Hg.): Life is a Thriller, Köln 2012, S. 113-127.
Anja Oed: Literaturen in afrikanischen Sprachen und die Jahn-Bibliothek für afrikanische Literaturen, in: Anna-Maria Brandstetter und Carola Lentz (Hg.): 60 Jahre Institut für Ethnologie und Afrikastudien. Ein Geburtstagsbuch. Köln 2006, S. 163-177.
Bísí Ògúnṣínà: The Development of the Yoruba Novel, 1930-1975, Ilorin (Nigeria) 1992.