Glycymeris planicostalis (Lamarck 1819) – Eine 31 Millionen Jahre alte Meermandel-Muschel aus dem Mainzer Becken
aus den Geowissenschaftlichen Sammlungen
Vor 31 Millionen Jahren waren weite Gebiete Rheinhessens von einem bis zu 200 Meter tiefen subtropischen Meer bedeckt. Das Meer hatte eine direkte Verbindung zu den Vorläufern unserer heutigen Nord- und Ostsee. Von dort drang das Meer über die niederhessische Senke – den Vogelsberg gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht – bis in das Mainzer Becken und den Oberrheingraben vor. Wie ein riesiger Fjord reichte der Meeresarm vom Nordmeer bis dorthin, wo heute Basel liegt. In Rheinhessen wurde das Meer im Norden von Hunsrück und Taunus begrenzt, die West- und Südgrenze bildeten das Saar-Nahe-Bergland und der Pfälzer Wald. Im Osten ging das Meer des Mainzer Beckens direkt in das Oberrheingrabenmeer über. An den Küsten, die unter anderem bei Alzey und Kreuznach lagen, wurden grobe Sedimente wie Kiese und Sande abgelagert. Im Meeresbecken selbst wurde das feinkörnige Material, also Ton, abgesetzt. Im Meer schwammen Seekühe und Haie, während an den Küsten Muscheln, Schnecken, Korallen und vieles mehr zu finden waren. Heute entdecken wir die fossilen Überreste dieser Tiere in den Ablagerungen. Zumeist sind es die Knochen, Zähne und Gehäuse bzw. Klappen.
Bei den Muscheln ist Glycymeris – oder mit deutschem Namen "die Meermandel" – besonders häufig anzutreffen. Die Meermandel wurde im Jahr 1758 unter dem Namen Arca glycymeris von Carl von Linné erstmals wissenschaftlich beschrieben. Sie ist heute die typische Art der Gattung Glycymeris DA COSTA 1778, die eine große Variabilität in der Färbung und Gehäuseform aufweist.
Das Gehäuse der fossilen Meermandel besteht aus zwei gleich großen dicken Klappen, die die für Muscheln typische Spiegelebene zwischen sich liegen haben. Verbunden sind die Klappen dieser bis zu 9 Zentimeter großen fossilen Muscheln durch ein Schloss mit kleinen Zähnen. Häufig kann man noch auf der Schaleninnenseite der Klappen die beiden etwa gleich großen Schließmuskeleindrücke erkennen. Die Innenseite des Außenrandes der dicken Schalen weist rund 50 Zähnchen auf, die beim Schließen der Klappen ineinandergreifen.
Aufgrund ihres Aussehens ist auf die Lebensweise zu schließen: Die glatte Schale ermöglicht ein schnelles Eingraben, die Dicke der Schale lässt aber darauf schließen, dass die Meermandeln nur flachvergrabend leben. Die Schalendicke ist so beim Freispülen ein Schutz vor Fressfeinden oder einem Zerbrechen bei zu starker Wasserbewegung. Schutz vor Feinden bieten auch die Schlosszähne und die Zähnchen am Schalenrand, die ein Verschieben der Schalenhälften gegeneinander verhindern. So ist es wahrscheinlich, dass die fossile Meermandel ebenso wie ihre rezenten Vertreter flachvergrabend in Wassertiefen von etwa 20 Metern auf schlammigen bis sandigen Böden gelebt hat.
Die einzelnen Klappen, die häufig in der Gegend von Alzey gefunden werden, sind typisch für die Meeresablagerungen aus dem Oligozän (23,03-33,9 Millionen Jahre vor heute). Diese Küstenablagerungen bestehen zumeist aus Sanden und Kiesen und werden nach ihrem Verbreitungsgebiet Alzey-Formation (30-31 Millionen Jahre vor heute) genannt – so kann man mithilfe von Funden von Klappen der fossilen Meermandel feststellen, in welchen Gesteinsschichten man sich befindet. Diese Art der Alterseinstufung von Gesteinen mithilfe der darin enthaltenen Fossilien wird als Biostratigraphie bezeichnet.
Häufig sind die dicken Schalen auf dem Schalenteil, der nicht vergraben im Sand steckt, auch von anderen Lebewesen besiedelt. So sind nicht selten Gänge von bohrenden Würmern zu erkennen oder auch Fressfeinde wie räuberische Schnecken hinterlassen ihre Spuren als Bohrlöcher auf und in den Schalen. Aber die Muschelklappen verraten uns noch mehr: Da Muscheln durch Anlagerung an ihren Gehäuserand wachsen, kann man zunächst mithilfe der Anwachslinien das Alter der Muscheln bestimmen. Rezente Meermandeln werden durchschnittlich 25 Jahre alt. Diese Anwachslinien reagieren sensibel auf Nahrungsbedingungen, Temperaturen und Umwelteinflüsse und bilden nicht nur jährliche, sondern sogar tägliche Zuwachsraten ab. Somit können Muschelschalen als Klimaarchiv genutzt werden. Derzeit läuft am Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ein entsprechendes Forschungsprojekt an den Meermandeln aus dem Mainzer Becken www.paleontology.uni-mainz.de).
Durchbohrte fossile Meermandeln aus dem Mainzer Becken sind als fränkischer Schmuck aus Grabbeigaben bekannt.
Prof. Dr. Kirsten Grimm
Literatur (Auswahl)
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