Objekt des Monats – Oktober 2013

Der Bodhisattva als Musiker Guttila

aus den Sammlungen der Indologie

Die Sammlung Indische Bronzen • Sammlung Ursula Walter wurde dem Institut für Indologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz von den Töchtern Ursula Walters aus deren Nachlass übergeben. Die Schenkung besteht aus rund 200 Stücken, vorwiegend Bronzen, die im Wesentlichen den beiden religiösen Hauptströmungen des indischen Subkontinents, dem Hinduismus und dem Buddhismus, zuzuordnen sind. Dabei stammen die Exponate nicht nur aus Indien selbst, sondern auch aus den von der indischen Kultur stark geprägten Regionen Sri Lanka, Nepal und Tibet, Südostasien (Thailand, Burma/Myanmar, Kambodscha) sowie Ostasien (Japan und China).

Eine Auswahl von 57 Stücken ist in vier Wandvitrinen im Philosophicum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, im Foyer vor Hörsaal P5 untergebracht. Das Mainzer Institut für Indologie verfügt damit dankenswerterweise über kunstgeschichtliche Quellen vor Ort, an denen sich die Grundzüge indischer Ikonographie und Kulturgeschichte anschaulich demonstrieren lassen. Führungen, nicht nur im Rahmen des akademischen Unterrichts, veranstaltet das Institut für Indologie gern auch auf Anfrage.

(Foto: Angelika Schurzig)

Ein besonders feines Exemplar der Sammlung ist die Darstellung des Buddha in einer seiner früheren Geburten als Musiker Guttila. Noch ist er ein Bodhisattva, ein in einer zukünftigen Geburt zur Buddhaschaft bestimmtes Wesen. Seine legendären Taten werden beschrieben im Guttila-Jâtaka ("Die Vorgeburtslegende über Guttila", Nr. 243), in der älteren indischen Kirchensprache Pâli verfasst, sowie in einer singhalesischen Bearbeitung, dem Guttilakâvyaya (15. Jahrhundert). Erzählt wird die Geschichte des berühmten Vînâ-Spielers und Hofmusikers aus Benares, dem sein undankbarer Schüler Mûsila die Stellung streitig machen will und der ihn deshalb zu einem Wettstreit herausfordert. Der Lehrer Guttila gewinnt, indem er auf seiner Vînâ eine Saite nach der anderen reißen lässt und dadurch einen nie zuvor von Menschen gehörten Wohlklang erzeugt. Der Gott Indra, der gleichzeitig anwesend ist, kehrt nach der triumphalen Siegerehrung zurück in seine Götterstadt Amarâvatî und berichtet den Himmelsbewohnern von Guttilas Können. Daraufhin bitten die Frauen der Götter, Guttilas Musik ebenfalls hören zu dürfen. Diesem Wunsch entsprechend holt Indra den Meister des Vînâ-Spiels in seinem Wagen in die himmlischen Sphären, wo Guttila alle Anwesenden und die ganze Welt mit seiner Musik verzaubert. Gerade diese Szene ist in der Skulptur nachgebildet.

An der Bronzefigur mit grüner Patina sind Kleidung und Schmuck durch goldene Bemalung hervorgehoben. Die alterslose Gestalt Guttilas sitzt, das rechte Bein angewinkelt und an den Körper herangezogen, das linke leicht schräg aufgestellt, auf einem rechteckigen Podest, an dessen Vorderseite Bäume, Sträucher, große und kleine Tiere plastisch hervortreten. Es entsteht der Eindruck, als ob der Musiker im Luftraum über der sich tummelnden Lebewelt schwebe. Mit der linken, auf das Knie gestützten Hand drückt er den Schaft seiner Vînâ, die nicht mit einer einzigen Saite bespannt ist, seine rechte liegt auf dem Klangkörper und hält ein Plektron. Körper und Kopf sind leicht nach links geneigt, das Gesicht zeigt einen sanft lächelnden, verträumten Ausdruck – als lausche der Spieler dem Klang seiner eigenen Musik.

Das Musikinstrument, das einen wertvollen Eindruck macht, läuft am oberen Ende kunstvoll in einer goldbemalten Flamme aus. Guttila selbst ist ebenfalls kostbar gekleidet, die Oberarme schmücken breite Goldreifen, einfache Reifen die Hand- und Fußgelenke, in den Ohrläppchen stecken lange Ohrgehänge. Ein hoher, über den ganzen Hinterkopf reichender Kopfschmuck, ein mit floralen Ornamenten und Ketten durchsetzter Schulterkragen sowie eine reich verzierte goldfarbene lange Hose vervollständigen seine Ausstattung. In ihrer Gesamtkomposition beeindruckt die Skulptur durch ihr naturalistisches, einfühlsames Formempfinden. Ausstattung sowie Kleidung und Schmuck weisen die Skulptur dem südostasiatischen respektive thailändischen Kunststil der neueren Zeit zu.

Dr. Marion Meisig

Literatur zu Indischen Bronzen (Auswahl)

Indische Bronzen ‒ Sammlung Ursula Walter. Hrsg.: Institut für Indologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Text: Marion Meisig. Fotos: Angelika Schurzig. Umschlaggestaltung: Nina-Mareike Obstoi. Herstellungsassistenz: Susanne Benkert. Mainz 2013.

Meisig, Konrad: Der Bodhisattva im Musikerwettstreit. Redefiguren in der singhalesischen Guttila-Dichtung. (Einführungsvorlesung als Privatdozent an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, 12. Oktober 1994). In: Mitteilungen für Anthropologie und Religionsgeschichte, Bd. 11, 1996. Ugarit-Verlag. Münster 1997, pp. 57-74.

Meisig, Konrad: Metres in the Sinhalese Guttila-kâvyaya. In: Buddhist Studies. Present and Future. Tenth International Conference of the International Association of Buddhist Studies, Unesco Headquarters, Paris, France, 18-21 July 1991. Summary Report, ed. Ananda W.P. Guruge. The Permanent Delegation of Sri Lanka to Unesco: Paris: May 1992, pp. 126-133.